“Steine im Garten der Aesthetik. Ueber Fareed Armaly‘s Austellung From/To.”

Review

In einer Verbindung von Ansätzen aus Kino und Video’ über Infografiken und Fotografie bis hin zu Anthropologie’ Geschichte’ Soziologie und Geografie versuchte Fareed Armalys Ausstellung From/To im Rotterdamer Witte de With’ “den gegenwärtigen Topos Palästina zu skizzieren und zu prägen.” Sie war das’ was Bruno Latour einen Hybrid nennen würde’ oder genauer gesagt’ ein Quasi-Objekt’ dass weder eine Installation eines einzelnen Autors oder einer Autorin ist’ noch ein allgemeines ideologisches Statement’ und noch weniger eine Ansammlung von ‘Kunstobjekten’’ oder bloss eine interdisziplinäre Aufarbeitung eines Themas. Die Liste’ was diese Ausstellung alles nicht ist’ macht es schwierig’ dieses Wagnis durch den reinigenden Filter der Kunst zu beschreiben und im Rahmen professioneller Kriterien und Publikumserwartungen zu rechtfertigen. Im heutigen künstlerischen Feld erreicht dieser’ in den Garten der Ästhetik geworfene Stein trotzdem zweierlei’ nämlich das wirkliche Potential von Künstlerlnnen-Kuratorlnnen oder ‘Netzwerk-Künstlerinnen’ zu untersuchen und auf jene Rolle hinzuweisen’ die eine kulturelle Institution legitimerweise in einer Zusammenarbeit spielen kann’ welche den Spalt zwischen Kunst und Politik zu überspannen sucht.

Beginnt alles mit einem einzigen Stein? Ja’ und zwar insoweit’ als der Künstler dieses OuasiObjekt als “die kleinste Landschaftseinheit’ die mit Architektur und—nach dem Jahrzehnt der Intifada—mit den Medien in Verbindung steht” betrachtet. In Wirklichkeit wurde für die Ausstellung die Topografie eines Steins digital analysiert’ was eine netzf6rmige Struktur ergab’ deren zentrale Knoten und radialen Linien dann in weissen Streifen am Boden der Raumes des Witte de With nachgezeichnet wurden. Wo zwei auseinanderlaufende Linien die Wand schneiden’ wird die Fläche zwischen ihnen zu einer farbigen Zone’ die vertikal in unser Sehfeld aufsteigt: eine Metapher für den gemeinsamen Raum’ der zwischen zwei Personen entsteht’ deren Arbeit zwar entlang unterschiedlicher Wege verläuft’ aber auf ähnliche Hindernisse trifft. Die Recherche’ aus der viele Teile der Ausstellung hervorgingen und die grösstenteils in Form von Computergrafiken an den Winden präsentiert wird’ strahlt von diesen metaphorischen Zonen in den realen physischen Raum der Ausstellung aus’ durch den wir unbeschwert flanieren. Die Linien am Boden jedoch zeichnen eine andere Geografie nämlich die labyrinthisshen Wege’ die die verschiedenen palästinensischen Gebiete und Flüchtlingslager über ein beängstigendes Gewirr von bewachten Grenzen verbinden und deren Verkehrsknoten meist Städte unter israelischer Kontrolle sind. Genau diese angespannte Geografie’ diese mühsamen Übergänge zwischen Momenten relativer Freiheit sind es’ die in dieser Ausstellung nachgezeichnet werden’ am nachdrücklichsten in dreissig nur selten gezeigten Filmen’ die in ein Videosammlung zusammengestellt sind’ wo sie zum Betrachen auf Monitoren innerhalb des durchkreuzten Ausstellungsaumes bereitstehen.

In seiner Rolle als Künstler-Kurator hat Fareed Armaly eine reichhaltige und komplexe Darstellung eines interaktiven Netzwerkes geschaffen’ das zugleich territorial und diasporisch ist’ und das sich nicht nur auf dem Boden Palästinas entwickelt’ sondern auch zwischen den entfernten Städten’ in denen manche der eingeladenen Austellungsteilnehmerinnen leben - so leitet der Amerikaner Armaly’ Sohn palästinensischer und libanesischer Elternteile’ selbst gerade das Künstlerhaus Stuttgart. Jedoch ist dieses Netzwerk nict nur als Diskursobjekt konzipiert; es ist ebenso sehr geprägt’ aktiv erweitert als ein Topos oder eine gleiche Grundlage infolge eines verbindendenm Prozesses’ der die niederländische Anthropologin Annelies Moors’ den Fotografiehistoriker Steven Wachlin’ palästinensische Filmemacherlnnen wie Rashid Masharawi’ Najwa Najjar-Kort und viele andere’ die Pariser Soziologin Sylvie Fouet’ die Historikerin Stephanie Latte Abdallah’ die Frauen n einem jordanischen F1üchtlingslager interviewt hat’ sowie Issam Nasser’ Forscher am Institut für Jerusalem-Studien’ und andere mehr umfasst. Die Ausstellung wurde daher auch mit einer Website verglichen’ in der die Besucherlnnen die Rolle des Cursors einnehmen und die Ausstellungsstücke die Seiten sind. Aber passender gesagt’ beleuchtet sie gleichzeitig das Material und die sozialen Strukturen von Beziehungen’ die wohl kaum auf die Technologie der Vernetzung reduzierbar sind’ eine Technologie’ welche selbst nur einen ihrer Vektoren ausmacht.

Wie schon Latour gemeint hat ‘kann ein Netzwerk nur dann funktionieren’ wenn es eine ausreichende Übersetzbarkeit zwischen den Anliegen und Kapazitäten seiner einzelnen Teilnehmerlnnen erlaubt. Die Netzwerk-Künstlerlnnen nützen den experimentellen Raum der Kunst als Ort oder Knotenpunkt für die Erprobung von möglichen neuen Übersetzungen und Zusammenarbeiten. Es ist aber sehr wichtig zu verstehen’ wie fragil gerade dieses palästinensische Netzwerk in materieller und sozialer Hinsicht ist. Armaly sagt selbst’ dag es unmöglich gewesen wäre’ From/To zum Beispiel in einem New Yorker Museum zu installieren’ und er hält bereits die Gründung des kleinen’ aber bedeutsamen Videoarchivs für eine grosse Leistung. Die Institution spielt hier offensichtlich eine entscheidende Rolle. lndem das Witte de With jedoch Armalys metaphorischen Steinwurf irgendeinem willkürlicheren—oder ‘autonomen’—Netzwerkexperiment vorzieht’ überschreitet es die strenge Definition von Kunst und trägt zu einer politischen Form des Widerstands bei. Trotzdem konnte natürlich gefragt werden’ ob denn diese Politik von rein künstlerischer Seite legitim ist—besonders zu einer Zeit’ in der die wichtigsten weltweiten Netzwerke jene sind’ in denen die Interessen an Computertechnologie’ Telekommunikation’ Medien und Finanzspekulation untereinander perfekt übersetzbar sind und dazu tendieren’ die Kunst mitsamt allen anderen kulturellen Praktiken in erfolgreich neutralisierte Varianten von Unterhaltung umzuformen.

Witte de With’ 28. Januar bis 21. März 1999.
Übersetzung Thomas Raab