“Bilder vom Orient.”

Notizen zu Fareed Armalys l’(re)Orient in Paris

Review

Wer sich auf der Pariser Messe für Gegenwartskunst (Fise), die am vergangenen Sonntag ihre Tore schloss, ein Bild von derzeitigen Tendenzen machen wollte, der wurde entäuscht. In der Regel setzten die Galeristen auf etablierte Namen und damit auf den sicheren Verkauf der mitgebrachten Exponate. Die Arbeiten und Versuche jüngerer Künstler dagegen bekommt nach wie vor nur zu sehen, wer sich auf einen Spaziergang durch die Galerien macht. Zu den zweifellos interessantesten Ausstellungen junger Gegenwartskunst, die zur Zeit in Paris zu sehen sind, gehört l‘(re)Orient. Unter diesem Titel hat der in Köln lebende Amerikaner Fareed Armaly seine zweite Einzelaustellung eingerichtet. Armaly ist libanesischer Abstammung.

Intellektuell geprägt hat ihn die nicht zuletzt durch Edward W. Said ausgelöste “Orientalismus” Diskussion über die abendländische Repräsentation de östlichen Welt, sowie die filmische Auseinandersetzung um die ideologische Befrachtung der Bildmedien, wie sie von Seiten politisch engagierter Filmemacher—unter ihnen Godard als Mitglied der Gruppe “Dziga Vertov”—im Frankreich der sechziger Jahre versucht wurde.

Armalys Material: vorgefertigte pikturale Darstellungen einerseits und individuelle und kollektive Vorstellungen, die wir uns von dem “anderen Kontinent”, der “anderen Kultur” machen, andererseits: diesmal geht es—auf einer ersten Ebene—um Bilder des Nahen Ostens, speziell des Libanon. Durch künstliche Zwischenwände hat Armaly die Galerie in ein Museum verwandelt, in dem er “objects trouvés” und eigens hergestellte Artefakte als seine “Exponate” präsentiert. Sie zeigen den Nahen Osten als Gegenstand imperialistischer Vereinahmung. als Ort touristischer Reiselust und als Kriegsschauplatz. Herausragend ist hier der Tisch, auf dem Fotokopien von einschlägigen französischen Büchern und Zeitschriften im Kreis angeordnet sind. Hier wird Denons illustrierte Descripcion de l’Egype—Denon hatte Napoleon auf seinem Ägypten-Feldzug begleitet—in Zusammenhang gestellt mit Loch Ping Meis Glaspyramide, die auf Geheiss Mitterrands heute den Eingang zum “Musée du Louvre” bildet. Wer hinter diesem Glasbau eine “ikonographische Leere” vermutet, wird durch Armalys Arrangement eines Besseren belehrt: Sie wird zum Sinnbild einer abendländischen Vorherrschaft, die bis in unsere Museen reicht und die Menschen fremder Kulturen dazu zwingt, ihre kulturelle Identität nach Massgabe abendländischer Museumkonservatoren zu bilden.

Der Umstand, dass Armaly der Präsentation seiner “Exponate” eine Art Führer beigegeben hat, verleitet zur Annahme, es handle sich um eine Präsentation von Dokumentarmaterial, das lediglich einen Text illustriert. Zweifellos ist das Verhältnis von Text und pikturalsprachlichen Artefakten ein Problem, das Armaly in Zukunft noch klären muss. Für l’(re)Orient gilt allerdings: Der Text ist unspezifisch genug und zum Teil von einer vielleicht unfrei­willigen Hermetik, so dass er die “Exponate” durch die blosse Zuordnung einer Bedeutung nicht zu literarisieren vermag. Entsprechend macht sich Armalys bildkünstlerische Leistung dort geltend, wo die Gestaltung und Anordnung seiner “Exponate” sowie deren Bedeutung die Bilder als Bilder zeigt, d .h. als Perspektiven, in denen man sich eines Gegenstandes bemächtigt.

Eine Arbeit, welche unser stereotypes Nachrichtenbild vom zerbombten Beirut decouvriert, ist in diesem Sinne besonders gelungen. Es handelt sich um ein Kartenlegespiel, dessen Karten die Silhouette einer Stadt mit Hochhäusern, Kriegshandlungen in der Luft und auf dem Boden darstellen. Die Menge der Karten gestattet eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten. Doch legt man sie nacheinander aus, so zeigen sie—nicht logisch, aber doch psychologisch—immer wieder dasselbe Bild.

Nun ist freilich diese “Orientalismuskritik” nur eine Perspektive höherer Stufe: wie die Helden aus Godards Bande à part, die Armaly durch eine Videoschlaufe dazu verurteilt für immer durch den nach Denon benannten Teil des Louvre zu stürmen, hat der Kritiker und erst recht der Künstler weder einen Ort ausserhalb der Perspektiven noch das Vertrauen, eine Perspektive in den Rang eines nicht weiter hinterfragbaren Masstabs zu erheben. Den mittlerweile poststrukturalistisch aus den Angeln gehobenen Masstabs, dem man z.B. in der Gruppe “Dziga Vertov” noch verpflichtet war, einen heute recht orthodox anmutenden Marxismus, hat freilich auch Armaly nicht mehr zur Verfügung. Seine Konsequenz besteht darin, die gesamte Ausstellung zu einem Werk zu machen, zu einer Installation, die—auf einer höheren Ebene—sich selbst noch einmal als eine Sichtweise thematisiert. Dies gelingt Armaly zum einen durch die Gegenüberstellung der leeren Galerie - dargestellt durch die Graphik auf der Einladungskarte—und der als Museum eingerichteten Galerie: zum anderen stossen die Anordnung einiger Artefakte den Betrachter auf seine Rolle, Besucher einer Ausstellung zu sein. In diesem Zusammenhang ist noch einmal der Tisch zu erwähnen: Armaly zwingt seinen Besucher, um den Tisch herumzulaufen oder von einem Treppenaufgang auf ihn herabzublicken, um die auf dem Tisch angeordneten “Exponate” betrachten zu können, womit er den musealen Charakter der Veranstaltung betont. Ein anderes Installationsstück zeigt nur den jeweiligen Betrachter selbst, es ist eine Anordnung von Spiegeln in einem Raumteil, dessen Gestalt an die Kammer zwischen Linse und Film eines Fotoapparates erinnern: Anstelle des Objektes sieht der Aufnehmende sich selbst.

Allerdings fragt sich, ob diese Verdeutlichung der gesamten Situation den Aufwand lohnt, zumal der Betrachter weiss, dass er sich in einer Ausstellung befindet, und sich Armalys Werke von Alltagsgegenständen genau dadurch unterscheiden, dass sie auf die mit ihnen verbundenen Sichtweisen aufmerksam machen; Armalys Artefakte und “objects trouvés” verweisen ja durch seine künstlerischen Manipulationen auf die Sichtweisen, die sie auf den Nahen Osten geben.

Es sind schliesslich diese Manipulationen, häufig nur die Anordnung der gefundenen Materialien, welche die Stärke Armalys ausmachen. Hier ist das eigentliche Arbeitsfeld seiner Kreativität, die im Falle der gelungenen Stück—analog zu Alexander Kluges Montage—so etwas wie ein bildkünstlerisches äquivalent zum Essay ergibt.