“Das Diagramm–Fareed Armaly und Rashid Mashawari.”

Die documenta ist ein Wimmelbild–wir zoomen auf die Details. In der zehnten Folge unserer Serie tut dies Isabella Graw

Review

Die wesentliche Leistung der documenta 11 ist darin zu sehen, dass sie eine politische Kompetenz der Kunst behauptet - eine politische Kompetenz, die nicht mit Politik zu verwechseln ist und deren Bedingungen die der Kunst sind. Zwar gelingt es nicht allen Arbeiten, ihren politischen Anspruch auch künstlerisch überzeugend vorzuführen. Doch dank des offensiv politischen Selbstverständnisses dieser documenta wird es hoffentlich in Zukunft schwer fallen, hinter den hier erreichten Stand der Diskussion wieder zurückzufallen.

Zu den gelungensten kunstpolitischen Installationen ist die von Fareed Armaly (in Kooperation mit Rashid Masharawi) zu zählen—das Projekt From/To, dessen politische Brisanz in einem eigentümlichen Kontrast zu seiner bisher relativ geringen Beachtung in der Öffentlichkeit steht. Dabei ist diese Arbeit alles andere als schwer zu übersehen. Sie fällt, gelinde gesagt, raumgreifend aus, hat sie doch mehr als die Hälfte der gesamten Fläche der Documentahalle eingenommen.

Fareed Armaly gehörte in den neunziger Jahren zu den Pionieren eines künstlerischen Verfahrens, das mit Identitätspolitik umschrieben wurde. Auf diesen Begriff brachte man eine Kunst, die im Sinne der Minderheitenpolitik die Identität des Künstlers/der Künstlerin ins Spiel brachte. Seither sind identitätsbezogene Ansätze theoretisch einigermaßen in Verruf geraten—weil sie entweder Identität zu substantiell verstehen oder über ihre Thematisierung von Identität nicht hinausgehen,darin aufgehen. Aufgrund eines so assoziativen wie situationsbezogenen Verfahrens, hat sich Armaly diese Probleme jedoch gar nicht erst eingehandelt. Identitätspolitisch zu arbeiten hieß in seinem Fall vielmehr, die individuelle Zwangslage zu einem möglichen, legitimen Ausgangspunkt künstlerischer Arbeit zu erklären. So auch in From/To, einer zuerst 1999 in Rotterdam gezeigten Installation, die Armaly als “Kartografie des zeitgenössischen Topos Palästina” verstanden wissen will. Seine eigene Perspektive macht er ebenfalls deutlich: Sie sei die eines in den USA geborenen Sohnes palästinensischer und libanesischer Emigrant/innen.

Wie lässt sich ein politisch brisantes Thema—der Nah-Ost-Konflikt, umstrittene Grenzen, besetze Gebiete, Flüchtlingslager - in eine künstlerische Arbeit transponieren? Mithilfe eines so abstrakten wie kooperativen künstlerischen Verfahrens. From/To ist die Verräumlichung einer geopolitischen Situation, allerdings unter Hinzunahme eines externen Faktors: dem digitalisierten Stein. Dieser Stein steht für künstlerische Willkür ebenso, wie er kunsthistorisch (Earth Art) und politisch aufgeladen ist. Denn solche Steine blockieren die Wege an den israelischen Checkpoints, sind demnach Symbol der israelischen Besatzungspolitik. Durch die Übertragung seiner digitalisierten Struktur auf die Karte der Grenzverläufe entstand nun ein System von diagrammatischen Linien, das sich in Form von weißen Streifen auf dem Boden dieser Installation wiederfindet. Die Wege, denen man hier folgt sind so hypothetisch wie real. An den grau gestrichenen Wänden dieser verräumlichten Erzählung sind Karten angebracht worden, in denen die Geschichte der Umstrittenheit dieser Grenzen nachgezeichnet wird. Ein Film von dem in Ramallah lebenden Filmemacher Rashid Masharawi ist ebenfalls zu sehen: Er zeigt die Staus und das zähe Warten an einem Checkpoint, wo Zeit still zu stehen scheint, wo sich nichts mehr bewegt. Wie immer bei Armaly wurden die ausgestellten Texte knapp und prägnant gehalten, was sie von einer ausufernden Info-Ästhetik unterscheidet.

Bei meinem ersten Aufenthalt in dieser Installation wurde ich zur Zeugin empörter Reaktionen: Dies sei pro-palästinensische Propaganda. Zwar trifft es zu, dass die palästinensischen Selbstmordattentate hier mit keinem Wort erwähnt werden, doch mit Propaganda hat diese Installation schon aufgrund ihrer konzeptuellen Ästhetik und der Nüchternheit der Texte nichts zu tun. Zumal in den hinteren Räumen, in denen die Filme von Masharawi und ein Filmprogramm laufen, gibt sich die Sprecherpositionder Beteiligten deutlich zu erkennen. Es geht offensichtlich darum, die palästinensische Perspektive in ihrer Vielfältigkeit darzustellen. Mindestens ebenso wichtig ist das künstlerische Vokabular, die spezifische Form der räumlichen Gestaltung. Und genau darin liegt der Vorzug dieser Arbeit: Dass sie auf einer eigenwilligen formalen Sprache ebenso beruht, wie sie ein politisches Problem auf genuin künstlerische Weise vermittelt.

Isabelle Graw lehrt Kunsttheorie an der Städelschule Frankfurt am Main.