“Der Allegorische Impuls des Kuratierens.”

Ein Interview mit Fareed Armaly

Review

Das Künstlerhaus Stuttgart bietet, vor allem auf seinem programmatischen 4. Stockwerk (haus.0) keinen üblichen Ausstellungsraum. Hier finden sich Reste vergangener Projekte und Ausstellungsarchitekturen, freigelegte alte Interventionen neben Archiven verschiedenster Art. Es handelt sich allerdings nicht um einen reinen Arbeits- oder Büroraum im Sinn der frühen 90er Jahre, sondern eher um ein allegorisches Feld, das die Ruinen der Geschichte in die kontinuierliche Modellierung einer „zeitgenössischen Syntax” einschreiben will. Auch das Ausstellungsprogramm selbst eilt nicht von Show zu Show, vielmehr scheinen sich Präsentationen, Workshops, Diskussionen und eben Ausstellungen immer wieder aufeinander zu beziehen; einige Projekte funktionieren mehr wie diskursive Hinweise denn als repräsentative Oberflächen. Der Raum und die medialen Repräsentationen wollen sichtbar mit den inhaltlichen Akzenten interagieren, wie sie viele der Projekte Projekte und Präsentationen (u.a. von Mel Chin, Laura Cottingham, Ruby Sircar, Hito Steyerl, Trina Robbins, Isaac Julien) in der Analyse von modernen Alltagskulturen zwischen feministischer und postkolonialer Theorie und Politik anstrebten. 1999 war Fareed Armaly Künstlerischer Leiter des Künstlerhauses geworden. Seine Amtszeit läuft Ende dieses Jahres aus. Helmut Draxler sprach mit ihm über die Arbeit in Stuttgart, die kuratorische Programmatik und die Zusammenhänge zwischen seiner künstlerischen und seiner kuratorischen Arbeit.

Helmut Draxler: Am Beginn deiner Tätigkeit als Künstlerischer Leiter des Künstlerhauses in Stuttgart stand ein eher nach innen, auf die Strukturen der Institution gerichteter Prozess als ein reguläres, an die Öffentlichkeit addressiertes Ausstellungsprogramm. Das hat sich in der Zwischenzeit verändert. Wie würdest du diesen ursprünglichen Ansatz beschreiben, und wie hat er sich entwickelt bzw. verändert?

Fareed Armaly: Ich fand im Künstlerhaus eine sehr interessante Situation vor, da das Haus in mehrerer Hinsicht einer Erneuerung bedurfte. Die Institution war über zwanzig Jahre lang ein wichtiger Anziehungspunkt gewesen; ein Ort, der gegründet wurde, um KünstlerInnen Zugang zu neuen Produktionsformen im medialen Bereich zu ermöglichen, und der im Gegensatz zum Atelier als dem traditionellen Produktionsort von Kunst stand. Auch das künstlerische Programm der Institution hatte immer wieder spannende Momente. Gleichzeitig war aber auch deutlich spürbar, dass die ursprüngliche Dynamik der Gründungszeit, vom Beginn der Achtzigerjahre, nicht mehr in gleicher Weise vorhanden war—es gab zwar vier Etagen, jede 300 m2 groß, mit Werkstätten, Ateliers, und noch einem zusätzlichen Gebäude, aber seit über zehn Jahren keine Planung, keine wirkliche Veränderung mehr. In einer kleinen Stadt wie Stuttgart muss das für jeden, der sich für das Künstlerhaus interessierte, ein ziemlich abschreckendes Signal gewesen sein. Eine Institution muss eine erkennbare Identität haben, die auf ihre grundlegenden Prinzipien hinweist.

HD: Was kann ein künstlerisches Programm an einer solchen Situation ändern?

FA: Nach meiner Auffassung sollte ein zeitgenössisches künstlerisches Programm eine Reihe von Erzählungen, von Narrationen beinhalten. Innerhalb dieser Erzählungen werden die Linien sichtbar, die verschiedene mögliche Versionen der Vergangenheit einer Institution mit denkbaren Varianten ihrer Zukunft verbinden. Dies bedeutete für mich, dass nicht ein galerieorientiertes Ausstellungsprogramm im Mittelpunkt stehen sollte, sondern ein institutioneller Dialog, eine Programmidentität, durch die eine institutionelle Identität als Konstruktion sichtbar werden konnte, die sich aus verschiedenen Typen von künstlerischer Praxis und theoretischen Ansaetzen zusammensetzte. In einem Video aus den Anfangszeiten des Künstlerhauses spricht der damalige erste Vorsitzende Kurt Weidemann darüber, dass das Haus auf keinen Fall eine Volkshochschule werden dürfte, sondern der Schwerpunkt auf experimentellen Formen liegen sollte. Eine Zeitlang wurde ein experimentelles künstlerisches Programm tatsächlich sehr gefördert, doch nach einiger Zeit schien dieser Ansatz nur mehr der Ablenkung von schwierigeren Fragen zu dienen. Anstatt das Wesen der Institution selbst zu überdenken, tauschte man einfach den Leiter/die Leiterin aus. Auch die Werkstätten und die gesamte Ausrüstung waren noch analog, es gab kein Budget für den Ankauf von Computern, und keine Planungsstrategie, die sich mit den Bedürfnissen und Veränderungen der Institution in der nächsten Dekade befasst hätte. Das Ganze glich einer leeren Galerie, deshalb wurde die Rolle des künstlerischen Leiters zur “Persönlichkeit” des Hauses, die an die Stelle der umfassenden Identität einer funktionierenden Institution trat. Auch auf diesen offensichtlich ‘unheimlichen’ Aspekt bezog sich mein Programm haus.0—auf eine Stuttgarter Institution, die ein alterndes Innenleben hinter einer leeren Gebäudehülle und einem freundlichen, fuer Presse und Oeffentlichkeit bestimmten, ‘jungen’ internationalen Gesicht verbarg.

HD: Wie hat sich dein Programm zwischen dem Bezug auf die historische Identität des Künstlerhauses und einer institutionellen Neudefinition entwickelt?

FA: Das Künstlerhaus hatte sich über lange Zeit hinweg immer der Metapher von der Institution als der hardware’ und dem künstlerischen Programm als ‘software’ bedient. Das Programm haus.0 wurde in Analogie zum Prinzip eines Webbrowsers entwickelt, der sich innerhalb einer zeitgenössischen Syntax in einem kontinuierlichem Zustand der Veränderung befindet, und dadurch dynamische Anordnungen verschiedener Identitäten entwickeln kann. In erster Linie standen weder Medien, noch Architektur oder der reale Ort im Vordergrund, sondern eine Form der Programmierung: haus.0 beschaeftigt sich mit den Systemen von Architektur, Design und Medien. Der Begriff der Architektur gehört sowohl zum Computer, als auch zum realen, gebauten Raum—in dem wir uns bewegen und handeln—also wurde diese Korrespondenz, die Korrelation zwischen beiden Systemen akzentuiert; zwischen den Bereichen, die durch die Renovierung entstanden, zwischen dem Eingang, dem Stiegenhaus, den zwei Ausstellungsbereichen, und dem Web. Es ging darum, innerhalb einer einheitlichen Institution verschiedene Ebenen zu verbinden. Der offene Grundriss suggerierte einen Raum, der nicht von Wänden begrenzt wurde, sondern der eher durch ein System, ein Zusammenspiel von Informationen, von materiellen Qualitäten, von Oberflächenstrukturen, von Screens, Projektionsflächen, Bildschirmen strukturiert wurde, und innerhalb dieses Systems sollte die jüngste Vergangenheit des Künstlerhauses in Form emblematischer Fragmente auftauchen und auch erhalten bleiben. Das Design spielte eine wichtige Rolle, da es die Institution durch eine Geste räumlichen Ausdrucks mit verschiedensten Medien verknüpfte. Das Logo, das von der Muenchner Designgruppe Diverse als “Identity” entworfen wurde, war das erste Projekt von haus.0. Das Logo veranschaulichte die vielfältigen Beziehungen zwischen dem Künstlerhaus und dem Programm haus.0, und wurde später zur Navigatoionslinie der Website. Mit der Zeit veränderte sich die Website, parallel zum Programm. Sie transformierte sich wie das Gebäude auch, als Antwort und Fortsetzung der ursprünglichen Ausgangsform. Die neue Website und URL waren im Sinne eines eher dokumentarischen Reader/Exhibition-Stils angelegt. Alle Projekte wanderten sozusagen durch die Plug-Ins, dadurch wurde auch der Aspekt der Kommunikationsmedien betont: am Beginn des Video Plug Ins stand zum Beispiel der Verweis auf die im Künstlerhaus entstandene Video Kommunikations Gruppe. Ein kurzer Trailer aus ihrer Künstlerhaus-Doku von 1982 wurde neu geschnitten. Das Audio Plug In stellte eine Verbindung zur Musikindustrie her, indem Lou Reed’s Metal Machine Music in Form einer neuen Soundinstallation wieder aufgelegt wurde; das Print Plug In nahm seinen Anfang mit der ersten “Fußnotenbibliothek”, die auf den Fußnoten von Mark Rakatanskys Essay “Spatial Narratives” basierte; der Treffpunkt im Künstlerhaus war die Bar aus der Fernsehserie Melrose Place, die ein Projekt des GALA Committees und Mel Chin war. Während dieser Zeit fanden auch die ersten ImHaus-Treffen mit Kuenstlerhausmitgliedern, im Besonderen mit neuen Mitgliedern statt. Bei diesen informellen Treffen ging es um neue Formen institutioneller Selbstdefinition.

HD: Wie hat sich sich das Programm dann vom Aspekt der Selbstdefinition wieder mehr nach außen hin entwickelt?

FA: Eine Ausstellung sollte wie ein Navigationssystem funktionieren, das die Erweiterung von Situationen ermöglicht, die sich mit anderen verknüpfen, oder sich wieder in Libraries, in Bibliotheken und Videotheken etc., verwandeln können. Ich sehe das weniger unter dem Gesichtspunkt des ‘Laboratoriums’, sondern eher als Reflexion vernetzter elektronischer Alltagskultur, wie man sie täglich im Web antrifft. Davon ausgehend, war es dann einfach, das Hauptgewicht auf Scripts und Media-Produktionen verschiedensten Ursprungs zu legen. 1999 fand Norman Kleins Scripted Spaces Projekt statt, und ein neues Audio Workshop-Projekt, das Klein gemeinsam mit Otto Kränzler vom Künstlerhaus-Tonstudio durchführte; eine zweite Fußnotenbibliothek entstand, die auf Sadie Plants Buch ‘Zeroes and Ones’ basierte; Jack Goldsteins Filme und Schallplattenproduktionen wurden erstmals seit zehn Jahren gezeigt; Laura Cottingham realisierte ein Webprojekt, das auf ihrem damals gerade entstehenden Film „The Anita Pallenberg Story” basierte; wir praesentierten cine16, das im Rahmen seines Programms unter anderem Lehrfilme verschiedenster amerikanischen Institutionen im 16 mm Format zeigt; Rainer Kirberg leitete einen script-workshop etc. Diese Phase, die mit “Open haus” begann, wurde am Ende des Jahres mit dem :kynstlerhaus-Projekt abgeschlossen. Dieses Projekt leitete in eine neue Periode über, indem die verschiedenen Elemente und Dokumente der Institution in eine neue Konstellation gebracht wurden. Kirberg inszenierte eine Performance, die auf der Satzung der Institution beruhte, die natürlich in einer bestimmten Sprache abgefasst ist, die sich nicht so sehr auf das Bestehen der Institution bezieht, sondern auf die Moeglichkeit ihrer Nicht-Existenz - also geht es in der Performance vor allem darum, was waere, wenn es die Institution nicht gäbe.

HD: Wie denkst du kann eine kleine Institution wie das Künstlerhaus oder generell ein artist’s space zum internationalen Kunstdiskurs beitragen?

FA: Es scheint immer um Größe zu gehen. Klein—das bedeutet kleinlich, engstirnig—und wir wissen alle, wieviele grössere Institutionen genau dieses Bild abgeben. Ein Künstlerhaus kann Ideen verknüpfen, die sowohl aus Diskursen und aus der künstlerischen Praxis stammen. Es wird in der heutigen marktorientierten Kunstwelt und auch durch die den Umstand der “Biennalisierung” oft vergessen, was für eine Rolle ein verantwortliches institutionelles Programm spielen, wie wichtig ein solches Programm als diskursives und auch praktisches Werkzeug sein kann. Ich halte das auch in Bezug auf Praxen, die ausserhalb europäischer Grenzen stattfinden, für ein wichtiges Angebot, das die Institution leisten kann. Durch den Umstand, dass ein solcher Ort—ein Künstlerhaus—sich nicht, wie zum Beispiel das Kino, um eine Disziplin herum organisiert, können die zugrundeliegenden Parameter immer wieder verändert werden. Es können Strategien in Bezug auf und mit anderen Institutionen und Programmen entwickelt werden. Ich weiss, dass die Produktionen, die wir hier durchführen, oder auch nur die Plug-In-Philosophie, problemlos in grösseren Metropolen und Häusern gezeigt werden können, so geschehen mit Norman Kleins Projekt/Workshop Scripted Spaces, mit Trina Robbins Women’s Comix Ausstellung, oder mit dem Projekt Revival Fields von Mel Chin; bestimmte Aspekte der geplanten Produktion von Kirbergs Melrose Plays, und auch die Arbeit amp (asian mode of production) mit Ruby Sircar könnten sich fortsetzen. Das Projekt mit Jack Goldstein weckte zum Beispiel wieder grosses Interesse an seiner künstlerischen Arbeit, die wieder in groesseren institutionellen Kontexten zu sehen sein wird.

HD: Du hast mit verschiedenen Künstler/innen oder Theoretiker/innen mehr als einmal zusammengearbeitet, einige deiner Gäste bezogen sich auch auf dasselbe Material, die Bar aus Melrose Place etwa. Kannst du einige Beispiele für diese Arbeitsprozesse nennen bzw. die Art der Interaktion beschreiben, wie sie zwischen deinem konzeptuellen Framework auf der einen Seite und den Interessen der eingeladenen Künstler/Theoretiker/Produzent/innen auf der anderen statt fand?

FA: Was mich im Laufe der Zeit in meinen Ueberzeugungen bestärkte, war der Umstand, dass alle Gäste, die ich eingeladen hatte, und auch andere, die den Raum einfach nur besucht hatten, meistens ziemlich schnell einen Zugang zur Struktur fanden, und den eigenen Ansatz in Verbindung mit dem Programm bringen konnten. Man könnte sagen, dass es so eine Sehnsucht gibt, einen Wunsch nach Differenzierung und Kontinuität, der im Gegensatz zur üblichen Praxis der Auslöschung steht, die den White Cube immer wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt, um mit der nächsten Ausstellung wieder bei Null anfangen zu können. Das ist kein Zufall: der Raum ist ein Angebot, eine Einladung im Rahmen der Identität des Programms und der Kombination von Projekten, die um dieses Programm herum, oder hindurch entstanden sind. Dadurch kommen Überschneidungen zustande, mit denen man weiterarbeiten kann. Der Raum stellt ein konträres Modell zum White Cube dar, er konstituiert sich meistens auf der Basis von Information, auf der Grundlage von Mustern, von emblematischen Anordnungen und so weiter. Mein Grundgedanke ist es, eine Plattform für die Entwicklung von Ideen herzustellen, die darüberhinaus durch Broschüren und Website Sinn und Bedeutung des Programms ergänzt. Ich würde behaupten, dass es eine ganze Reihe von Projekten gibt, die nur deshalb zu Installationen werden, weil es das ist, was die Leute in einer Institution sehen wollen.
Unsere Vorträge und Filme finden in Überresten aus der Ausstellung Norman Kleins statt, am Fussboden ist noch ein Diagramm des Labyrinths von Versailles zu sehen, an der Decke ein barockes Wandgemälde. Das Projekt stand damals auch in Bezug zu Norman Kleins Freud-Lissitzky-Navigator im Web. Viele der TeilnehmerInnen arbeiteten z.B. mit der Videolibrary. Es war eine interessante Art von Kommunikation in Bezug auf eine zeitgenössische Generation, auch hinsichtlich der Rolle, die das Kino in Bezug auf Fragen der Identität und Erinnerung spielt. Das Projekt amp, das meine Assistentin Ruby Sircar nach einem halben Jahr Arbeit für haus.0 entwickelte, befasste sich mit indischer Film- und Musikproduktion aus der Perspektive der zweiten, im Ausland lebenden Generation junger AsiatInnen. Ironischerweise hatten die meisten der KünstlerInnen, die ich einlud, zum indischen Kino fast mehr Bezug als zum Hollywood Kino; zum Beispiel das litauische Künstlerpaar Nomeda und Gediminas Urbonas, die im Rahmen von haus.0 das Projekt “transaction” realisierten, das selbst wieder auf litauischen Filmen basiert. Anri Sala fügte dem eine neue Arbeit hinzu, die auf Grundlage von Produktionen des albanischen Kinos entwickelt wurde. Das weist wieder auf den Komplex von Kino, Erinnerung und Gedächtnis hin. Besonders wichtig schien der Aspekt nationaler Filmproduktion ueber den Export des Begriffes, den eine Nation von sich hat—daran lassen sich unterschiedliche Konfigurationen einer Filmgeschichte erkennen, die von einer Generation rezipiert wird, die außerhalb europäischer Parameter aufgewachsen ist.

HD: Immer wieder beziehst du dich auf historische Materialien, die das Programm wie ein Leitfaden an Referenzen durchziehen, von Lou Reeds Metal Machine Music über Jack Goldstein, Samuel Becketts Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Fernsehen, und, wie in einem der letzten Projekte, die Experimentalfilme von Peter Weiss. Wie siehst du hier den Zusammenhang?

FA: Sowohl in Bezug auf Fragen der Identitätspolitik wie auch auf Themen, die die Institution als solche betreffen, ist es notwendig festzustellen, dass Kultur immer auch aus dem Verhältnis von Nostalgie und Geschichte entsteht, indem der Beschaeftigung mit der Geschichte der Nostalgie vorrangig ist. Wichtig ist vor allem, wie die KünstlerInnen mit Konventionen umgehen,was das kulturell und politisch bedeutet, und wie diese Konventionen als “Narrationen” funktionierten, die Subjekte konstituieren. Die Medien bilden einen Aspekt, dann die Funktion des Autors/der Autorin, und natürlich der Zeitabschnitt, in dem die Arbeiten positioniert werden, und dann spielen natürlich auch Reaktionen auf die Institutionalisierung kultureller Bereiche eine Rolle. Mein Ansatz einer “populären” Ausstellung war die Show mit Trina Robbins “From Girls to Grrrlz”, eine Geschichte des amerikanischen Frauencomics; Trina Robbins zum Beispiel kommt aus dem Second Wave Feminismus. Sie wählte die Gegenkultur der Underground Comix als Arbeitsfeld, und wurde dann auch noch deren populärste Chronistin. All die Arbeiten, die ich miteinander in Bezug setze, weisen auch eine gewisse strategische Tendenz auf, indem sie mit vorgefassten Bildern und Rollenklischees spielen—die Konstruktion des Individuums durch die Gesellschaft, die Konstitution des Subjekts werden so innerhalb einer Dynamik betrachtet, die sich durch Analyse und Projektion vermittelt, um so über Identitätspolitik und Fragen von Macht und Repräsentation reflektieren zu können. Sie suggerieren auch eine Art von Narration, deren Identität sich im Flux befindet. Peter Weiss zum Beispiel, der während WWII wegen seiner jüdischen Herkunft ins schwedische Exil flüchten musste, und sich spaeter, 1964, in seinem Stück Marat/Sade mit dem restaurativen, restriktiven Klima in Deutschland befasste; Lou Reeds “gender bender”—Ansatz fand mitten im Zentrum amerikanischer Mainstream-Popmusik statt, und etwas subtiler wird das auch in Goldsteins eher kalifornisch gepraegtem Werk sichtbar, das aber immer auch von spezifisch „kanadischen” Momenten gepraegt war, vor allem in Bezug auf den Einsatz von Medientechnologien.

HD: Wie würdest du die Rolle der Theorie für dein kuratorisches Programm veranschlagen?

FA: Theorie sollte sowieso die Grundlage des Programms sein - sonst bleibt das Programm ein Showcase, das nur gemanagt werden muss. Aber ich war andererseits auch dagegen, im Künstlerhaus Symposien zu veranstalten, die tendenziell einfach nur einige spektakuläre Namen versammelt hätten, ohne eine Beziehung zu einem wirklichen gedanklichen Prozess herzustellen, oder zumindest zu einem Projekt, das man in mehrfacher Hinsicht andenken könnte. Ich war immer gegen diese permanente Zusammenführung von Theorie, gegen ein Labelling in “postkolonial”, “multikulturell”, das sind lauter Wegwerfkategorien, ein einziges “Das haben wir ja schon gemacht”.
Ich glaube, dass für viele—mich selbst eingeschlossen—, die sich von den akademischen Publikationen der späten 70er Jahre nicht, oder kaum, angesprochen fühlten—besonders in Hinblick auf Kulturpolitik, Begriffe von Nation, und Identität, und die Rolle der Kunst—, dass für viele diese Explosion von Theorie vor allem in Form von Essays in den Achtzigerjahren wirklich unglaublich wichtig war, und es ist mir eigentlich egal, wie das heute verpackt wird. Ich spüre immer noch, dass das wichtig ist. Theorieproduktion und -bildung implizieren immer auch den Prozess einer konstanten Modellierung, im Gegensatz zu fertigen Modellen; es geht nicht darum, Diszipline wieder durchzunehmen und abzuwandeln, oder zu illustrieren, als würde man sich in einem Vakuum befinden, und Posen wiederzubeleben, die aus vergangenen theoretischen Positionen stammen. Ich versuche also, durch das Programm eine Form zu etablieren, eine Umgebung zu schaffen, die es erlaubt, die Verbindungen und Knotenpunkte zu sehen, den Fluss von Informationen sichtbar zu machen, und Orte der Transparenz zu erzeugen. Diesbezüglich war es wichtig, die Fußnotenbibliotheken mit dem Essay “Spatial Narratives” des Architekten Mark Rakatansky zu beginnen, der auch auf der Website publiziert ist. Dieser Essay war 1991, im Jahr seines Erscheinens, sehr wichtig, er bezog sich auf den in sich geschlossenen Diskurs akademischer amerikanischer Architekturtheorie, und versuchte, über eine Analyse des Unheimlichen in der Architektur diese sehr soliden Strukturen zu öffnen, aufzubrechen, um so neue Passagen und Perspektiven zu schaffen.

HD: Wie würdest du die Kontinuitäten bzw. Brüche zwischen deiner künstlerischen und deiner kuratorischen Arbeit beschreiben?

FA: Es gibt immer noch Leute, die mich fragen, wann ich denn wieder “Kunst” produzieren würde—ich schaffe es scheinbar nicht zu erklären, dass es immer um eine Praxis gegangen ist, es gibt diese Differenz in meiner Produktion nicht.
Wie du weißt, hat meine Arbeit 1986 nicht mit Ausstellungen begonnen, sondern mit Interviews auf Video und mit Printveröffentlichungen im Rahmen eines Journals, das sich vor allem mit Produktionsformen zeitgenössischer Musik und Kultur beschäftigte. Das stellte eine Methodologie, eine Strategie dar, die ich auch in Einzelausstellungen, Auftragsarbeiten und innerhalb spezifischer Rahmenbedingungen angewendet habe. Es gibt da keine Hierarchie, diese drei Punkte bilden eine Art von Dreieck, das der Orientierung im offenen Feld künstlerischer Praxis dient. Ich verstehe darunter die kontinuierliche Suche nach einer zeitgenössischen Syntax, die mit kultureller Identität zu tun hat, und die auf sich stetig verändernde institutionelle Modelle projiziert wird. Das wird durch die verschiedenen Rollen sehr deutlich, die ich innerhalb der letzten zehn Jahre eingenommen habe, die immer in Zusammenhang mit einer bestimmten Investition in transitorische Produktionen, in neue Räume oder Projekte standen. Eine Auswahl würde folgende Konstellationen beinhalten: als jemand, der in die frühe Phase der Galerie Nagel involviert war, stellte sich mir die Frage nach der möglichen Rolle einer Galerie im Verhältnis zu einer bestimmten Interessensgemeinschaft; als Berater arbeitete ich mit dem Kurator Yves Aupetitallot an der Entwicklung eines Konzepts für das Project Unité in einem Le Corbusier-Gebäude in Firminy; im Rahmen einer Auftragsarbeit konzipierte ich die Entwicklung eines Modells fuer die geplante Eröffnung neuer Raeume der damals in Planung befindlichen Generali Foundation in Wien; als Ko-Kurator arbeitete ich mit Ute Meta Bauer an der „?”-Sektion der Ausstellung „Nowhere” im Lousiana Museum, das damals beispielhaft war fuer den Versuch eines Museums für Moderne Kunst, eine Bewegung vom Modernismus zum Zeitgenössischen zu vollziehen; es folgte ein Projekt im öffentlichen Raum in Hamburg, das aus der Zusammenarbeit von drei Institutionen entstand—Universität, Fernsehen und Kulturbehörde (Program, Hamburg), und die momentane Rolle ist die des Künstlerischern Leiters eines Künstlerhauses.

HD: Bekanntlich ist Erfolg eine ziemlich trügerische Kategorie. Nach welchen Kriterien würdest du jedoch deine Arbeit in Stuttgart als für dich befriedigend bzw. eben als erfolgreich betrachten?

FA: Ich kannte Stuttgart schon seit 1985, und auch das Künstlerhaus schon seit einiger Zeit, dadurch war mir ziemlich klar, unter welchen Gesichtspunkten ich Erfolg hier beurteilen wuerde. Es gibt natürlich auch ganz klare Umstände: unser Ausstellungsbudget für ein Jahr entspricht dem einer einzelnen Ausstellung in einem durchschnittlich grossen Kunstverein. Der Mitgliederstand ist gleich geblieben; wenn ich meine Arbeit hier beende, ist die Institution in einem viel besserem Zustand, als ich sie vorgefunden habe, das spielt für meine Arbeit auch eine entscheidende Rolle. Die Reaktionen und Nachfragen der internationalen BesucherInnen haben mir auch gezeigt, dass die Differenz zu anderen Kunsträumen hier sehr unmittelbar spürbar wird, dass dies nicht einfach ein Raum ist, der vorübergehend von leeren Philosophien und Ästhetiken oder von einprägsamen gaengigen Schlagworten gefüllt werden muss, noch geht es darum, allgemein anerkannte kritische Werke der Vergangenheit anzuhäufen—stattdessen soll eine Umgebung entstehen, die kontinuierlich aus den vielfältigen, unvorhersehbaren Mustern hervorgeht, und die sich mit bestimmten Formen zeitgenössischer Kunstpraxis besser kurzschliessen kann, die nicht nur von Kunst handeln, sondern von Kultur, Gesellschaft, und Repräsentationspolitik. Das wird von der lokalen Presse allerdings nur sehr bedingt registriert. Man findet hier jedoch immer gerade im kulturellen Bereich interessante Leute, die sich in Bewegung, oft in einer Uebergangsphase befinden,und meist gerade dabei sind, in eine grössere Stadt zu ziehen. Viele, von denen das Programm hier wahrgenmmen wird, sind andere Langzeitbesucher in Stuttgart, im Rahmen von Stipendien oder ähnlichen Situationen, und so entsteht ironischerweise dann doch so etwas wie eine Internationalität, die mir ganz gut gefällt.