“Wege auf einem Kieselstein.”

Nicht nur Postkartengrüße aus Palästina: Fareed Armaly in der Kunsthalle Witte de With

Review

“Ich habe keine Karte zu zeichnen, mit der Straße zum Glück. Aber ich habe einige Ideen, wie wir alle uns miteinander versöhnen können . . . .Wie wir zugleich fliegen und auf dem Boden bleiben können.”

Mit diesen Worten resümiert Amos Oz seinen Bericht zur Lage des Staates Israel, in dem er 1990 ein friedliches Nebeneinander von Israelis und Palästinensern literarisch in die Zukunft projizierte. Wenn der amerikanische Informationsdesigner Fareed Armaly, der als Sohn libanesisch-palästinensischer Eltern 1957 im amerikanischen Iowa zur Welt kam, nun in seiner Rotterdamer Ausstellung From/To ein feines Wegenetz ausbreitet, um dem Identitätsmechanismus seiner palästinensischen Altersgenossen auf die Spur zu kommen, entwirft auch er keine goldenen Wege, sondern zeigt Pfade und Brücken auf, über die die Generation der Intifada in den vergangenen zehn Jahren nationales Selbstbewußtsein aufgebaut hat.

“From Deir' Ammaar Camp to Al-Ilasimi Al-Shemali Camp, From City Center Amman to Al-Husseein Camp, From Gaza to Al-Karama Camp, From Karatia, Gaza to Gaza . . .” heißt es sachlich auf weißen Streifen, die die gähnend leeren Räume der Witte-de-With-Kunsthalle am Boden durchkreuzen. Es sind Strecken, die Grenzen und Distanzen schaffen. Die meisten haben ihre geographische Funktion für die Palästinenser längst verloren. Armaly stellt die Routen daher wie abstrakte Daten-Highways dar. Dort, wo sie auf nackte Wände treffen, schlägt bleiches Weiß in warmes Wüstengrau um.

Die Sinnlichkeit dieser Ausstellung liegt in der Kargheit ihrer ästhetik. Und die strahlt die spröde Selbstbehauptung einer Wüstendistel aus. Verloren findet sich der anfangs ratlose Besucher kilometerlangen Plakattexten, Piktogrammen und Landkarten ausgesetzt, die vor allem Leseunmut schüren. Einmal angekommen, gerät man jedoch schnell in den Sog der Information: Kinderarbeit im abgeriegelten Gazastreifen, Frauenschicksale, Familienzwistigkeiten, Organisationsstrukturen, Alltag in den palästinensischen Camps. Das auseinandergerissene Volk kommuniziert über ein Telefonsystem, das in Tel Aviv zusammenläuft und von dort jederzeit unterbrochen werden kann. In der Ausstellungswüste bilden flimmernde Computerterminals Oasen, aus denen Neuigkeiten über gesellschaftliche Entwicklungen im Nahen Osten aus den Quellen des Internets sprudeln. Videostationen bündeln 29 Spiel- und Dokumentationsfilme, die palästinensische Gegenwart reflektieren. Das Selbstbild, das die jungen Regisseure darin spiegeln, erscheint ohne Selbstmitleid, mit klarem Blick für die Realität, voll menschlicher Anteilnahme. Zum ersten Mal überhaupt wird hier die palästinensische Filmproduktion der jüngsten Vergangenheit im Westen öffentlich.

Armalys hochpolitische Veranstaltung kommt ohne sichtbare Aggression aus. Gerade darin liegt die Provokation dieser Schau. Leid, Folter und Unrecht, die lange mit Terror beantwortet wurden, gehören einer nicht zitierten Vergangenheit an. Armalys Generation der Intifada kämpfte mit dem Stein in der Hand für Freiheit und Eigenständigkeit. So griff auch der Künstler zum steinernden Wurfgeschoß, um in der Ausstellung ein gestaltloses Land auf seinen kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen. Armaly ließ einen faustgroßen Kiesel digital vermessen und übertrug die Meßlinien als Wegenetz ins Dreidimensionale der Museumsarchitektur. In diesem Geflecht aus beschrifteten Streifen endet From/To, offen, ohne Inhalt, bereit für die Zukunft.

Am anderen Ende findet sich eine Postkartensammlung. Seit Kaiser Wilhelm II. 1888 das Land besuchte, hat die Popularität von Postkartengrüßen aus Palästina sprunghaft zugenommen. Damals wurden Karten für Pilger gedruckt, die die Einheimischen in biblischen Kostümen an den heiligen Stätten zeigten und somit ein moralisch makelloses Image transportierten. In den dreißiger Jahren ändert sich dieses Bild nur äußerlich. Nun sieht man glücklich strahlende Zeitgenossen, die beim Straßenbau unter dem Motto “joy of work” um die Gunst osteuropäischer Emigranten warben. Nicht nur die Postkartenbilder, auch deren Bildunterschriften vermitteln wechselnde Identitätsideale: “Palästinensische Schönheiten im palästinensischen Leben” lautet der harmlose Kommentar unter einer folkloristisch gekleideten Damenschar auf einer Postkarte der neunziger Jahre. Um dieses Frauenbild zu relativieren, richtet die Repräsentantin einer Frauenorganisation in der Ausstellung eine Faxzeitung ein, die einmal wöchentlich den Bericht von Lagerbewohnerinnen aus einem jordanischen Camp übermitteln sollte. Leider brach die Verbindung nach dem Tod König Husseins zusammen, bevor sie aufgebaut war.

Form und Inhalt, ästhetik und Information fallen in Armalys Installation bewußt auseinander. Der Künstler hat kein begehbares Geschichtsbuch geschaffen, sondern öffnet mit der Logik einer Raum gewordenen web site eine neue Seite musealer Präsentation, die das Denken in virtuellen Informationsdimensionen sichtbar vermittelt. Um die komplexen Inhalte seines Vorhabens zu sichern, hat der Künstler Filmemacher, Historiker, Anthropologen und Geologen um ihre Beiträge gebeten. Während des Rotterdamer Filmfestivals brachte er zum Auftakt neun palästinensische Regisseure zusammen, die sich bislang nur über ihre Arbeit begegnen konnten.

In dieser scheinbar öden, prallvoll mit Inhalt gefüllten Ausstellung profiliert sich Armaly als Informationsarchitekt und Interaktionsdesigner. Indem er das Selbstverständnis des jungen Palästina zu Wort kommen läßt, arbeitet Armaly auch ein Stück eigener Biographie auf. Wurzellos wie Blütenstaub, wurde seine Familie über die Welt verstreut. Seit Januar dieses Jahres leitet Armaly als künstlerischer Berater das Künstlerhaus in Stuttgart. Dort darf man für die Zukunft mit ähnlich aktuellen Medienprojekten rechnen.

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